28.01.2022 | Die Zukunft bringt Autos, die sich kinderleicht fahren lassen, aber nur mit Führerschein
Kraftfahrzeuginnung Region Stuttgart rät vom Verzicht auf den Führerschein ab
Verkehrsminister Winfried Hermann (69) wirbt dafür, dass Seniorinnen und Senioren über 65 auf den Führerschein verzichten und auf den ÖPNV umsteigen. Dafür gibt es beim teilnehmenden Verkehrsverbund Stuttgart einmalig ein Senioren-Jahresticket. Die Kraftfahrzeuginnung Region Stuttgart rät dazu, „sich die Teilnahme an dieser Aktion gut zu überlegen“, sagt Obermeister Torsten Treiber. Nicht nur, weil bei der inzwischen erreichten Lebenserwartung jahrzehntelang Ticketkosten anfallen, sondern vor allem, weil die Autos immer moderner werden: „Wir werden in naher Zukunft selbstfahrende Autos in einer nie dagewesenen Leistungsfähigkeit erleben. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass deren Nutzung immer einen Führerschein voraussetzt.“ Eine wichtigere Rolle werde auch das begleitete Fahren spielen, ergänzt Innungsgeschäftsführer Christian Reher. „Die Ampelkoalition plant, die Altersgrenze von 17 auf 16 Jahre zu senken, Großeltern ohne Führerschein können ihren Enkeln dann nicht als Begleitperson helfen.“ In der Region sind bis zu 563.000 Seniorinnen und Senioren und rund 26.000 junge Menschen unter 17 Jahren betroffen.
„Es braucht keinen Führerschein, um mobil zu sein. Für viele Regionen Baden-Württembergs gilt, dass Ziele mit Bus und Bahn gut erreichbar sind. Viele Alltagswege sind zu Fuß und mit dem Fahrrad möglich“, wirbt Winfried Hermann in einer Pressemitteilung seines Ministeriums für die Aktion. „Nur der Führerschein eröffnet alle Möglichkeiten unbeschränkt mobil zu sein. Wer fit genug ist, auf belebten Straßen Fahrrad zu fahren, ist auch fit genug, mit dem Auto unterwegs zu sein“, dreht Christian Reher, selber passionierter Radler, den argumentativen Spieß um, soweit es um die Gesundheitsaspekte bei Seniorinnen und Senioren geht.
Und Torsten Treiber greift die Ministeraussage auf, der bei der Vorstellung des Projektes sagte, dass Menschen Ü65, „sofern sie bei einem Unfall ein Auto fahren, in den meisten Fällen die Hauptschuld (2020: 68,7 Prozent) tragen“: „Da zeichnet sich durch die revolutionäre Entwicklung der Autotechnik über alle Altersgruppen hinweg eine starke Entlastung und ein Rückgang der Unfallzahlen im automobilen Bereich an, denn wir wollen nicht vergessen, die am stärksten unfallgefährdete Gruppe sind immer noch die Fahranfänger und jungen Menschen bis 25 Jahren am Steuer.“ 2020 zählte das Statistische Landesamt in der Region Stuttgart 1.083 im Straßenverkehr verunglückte Personen über 65 und 1.271 zwischen 18 und 25, wobei die jungen Menschen mit rund 210.00 rund 27 Prozent der Zahl der Senioren stellen, die bei rund 563.000 liegt.
Gut nachzudenken, rät die Kfz-Innung, „weil die Entscheidung, den Führerschein abzugeben mit der Annahme des einjährigen ÖPNV-Tickets fast unumkehrbar ist. Das Land fordert den dauerhaften Verzicht auf die Fahrerlaubnis durch Rückgabe des Führerscheins an die Fahrerlaubnisbehörde als Bedingung der Aktion“, sagt Reiner Äckerle, Autohausinhaber in Korb und Pressesprecher der Kraftfahrzeuginnung. „Es ist die persönliche Entscheidung eines jeden Seniors. Diese will aber wohl überlegt sein: einmal futsch, kann für immer futsch heißen“, bringt er’s auf den Punkt. Prinzipiell sei das Ganze zwar eine Führerscheinrückgabe auf Probe, denn die Fahrerlaubnis erlösche zwar, „aber eine Wiederteilung der Fahrerlaubnis ist jederzeit, nach einem Jahr oder später, gegen Gebühr möglich.“ Notwendig sei außerdem ein augenfachärztliches Gutachten und ein Erste-Hilfe-Nachweis. „In der Realität sind das hohe Hürden, die schwer zu nehmen sind.“ Und „dass uns dann Kunden fehlen, ist kein auch kein Geheimnis, sondern eine unerfreuliche Nebenwirkung.“
Bislang haben seit 2015 in der Region Stuttgart rund 5.300 Seniorinnen und Senioren bei Modellprojekten das Angebot angenommen, heißt es beim Verkehrsverbund Stuttgart. „Im VVS haben sich bisher die Landeshauptstadt Stuttgart und die Landkreise Esslingen, Ludwigsburg und Göppingen für eine Teilnahme entschieden beziehungsweise führen die Aktion schon seit längerer Zeit durch. Auch der Landkreis Böblingen hat die grundsätzliche Entscheidung zur Teilnahme getroffen“, meldet der VVS. Der Rems-Murr-Kreis fehlt also noch. Das Potenzial liegt beim Hundertfachen, wenn der auch noch mitmacht: Fast 563.000 Seniorinnen und Senioren von 65 aufwärts sind laut Regionaldatenbank allein in der Region Stuttgart registriert. Wer von denen einen Führerschein hat, weiß allerdings (derzeit) noch keine Datenbank.
„Denen allen bringt die Zukunft Autos, die sich kinderleicht fahren lassen, aber nur mit Führerschein“, sagt Torsten Treiber und verweist auf die aktuelle Entwicklung, die „rasend schnell vorangeht. „Daimler hat jetzt als weltweit erster Hersteller eine Freigabe für das hochautomatisierte Fahren auf Level 3 erhalten. Das ist die Stufe, bei der Fahrer oder Fahrerin am Lenkrad Zeitung lesen kann.“ Und Level 4, „da fährt das Auto auf Wunsch ganz auf Autopilot, ist nicht mehr weit.“ Und apropos kinderleicht: „Sobald die Koalition ihr Versprechen umsetzt, das begleitete Fahren auf 16-jährige zu erweitern, kommen in der Region nochmal bis zu 26.000 junge Menschen mit Führerschein dazu“, sagt Christian Reher und zitiert den Koalitionsvertrag, Seite 52: „Um Jugendliche schon frühzeitig für die Gefahren im Straßenverkehr zu schulen, werden wir begleitetes Fahren ab 16 Jahren ermöglichen.“ Die jungen Menschen brauchen also ältere Menschen mit Führerschein, die mit ihnen fahren: „Opa und Oma mit den Enkeln beim begleitenden Fahren unterwegs ist doch eine prima Vorstellung“, sagt Torsten Treiber.